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  • THOMAS GAUL | FACHJOURNALIST FÜR BIOENERGIE | AGRARWIRTSCHAFT
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„Wärmewende“ mit Biogas

Für eine erfolgreiche Energiewende muss jetzt dringend die Aufholjagd bei der Wärme beginnen, die mit 58 Prozent den Löwenanteil des Endenergiebedarfs ausmacht. Die Bundesregierung hat das Ziel gesetzt, den Anteil erneuerbarer Energien für Wärme und Kälte bis zum Jahr 2020 auf 14 Prozent zu erhöhen. Bisher sind davon erst knapp 11 Prozent erreicht. Ohne Steigerung des gegenwärtig schwachen Ausbaus der Erneuerbaren im Wärmesektor ist selbst dieses bescheidene Ziel in Gefahr, warnt der Forschungsverbund Erneuerbare Energien. Die wesentlichen Stellschrauben, um die Energiewende im Wärmemarkt einzuleiten, sehen Energiewissenschaftler in der Verringerung des Wärmebedarfs, beispielsweise durch Wärmedämmung und im Umstieg auf Erneuerbare Energien. Das geht aus der von der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) veröffentlichten Metaanalyse „Energiewende im Wärmesektor“ hervor, die insgesamt 22 Studien auf ihre Aussagen zur Entwicklung des Wärmemarktes vergleicht. Die Gegenüberstellung macht auch deutlich, dass ein Großteil der Studienautoren die angestrebten energie- und klimapolitischen Ziele in Gefahr sieht. „Der neue Studienvergleich zeigt, dass die politischen Instrumente und Maßnahmen für die Wärmewende rasch Wirkung entfalten müssen, um die Lücke zwischen den energie- und klimapolitischen Zielen und der tatsächlichen Entwicklung zu schließen“, so Philipp Vohrer, Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien.

Die 21-seitige Metaanalyse vergleicht wissenschaftliche Arbeiten hinsichtlich ihrer Aussagen zum Potenzial und zur Entwicklung des Wärmemarktes in Deutschland bis zum Jahr 2050. Der energiepolitischen Zielsetzung zufolge soll der Wärmebedarf im Gebäudebestand bis 2020 um 20 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2008 gesenkt werden. Die bisherige Entwicklung allerdings ist zur Zielvorgabe gegenläufig: Zwischen 2008 und 2013 ist der Wärmebedarf sogar leicht angestiegen. Die größten Effizienzpotenziale sehen die betrachteten Studien im Gebäudebereich. Demnach könnte der Endenergiebedarf für Raumwärme und Warmwasser bis 2050 um etwa 60 Prozent sinken. Dennoch zeigt die Metaanalyse, dass der Biomassenutzung in vielen Studien insgesamt noch ein deutliches Steigerungspotenzial zugesprochen wird. Für die verstärkte Nutzung der Bioenergie kristallisieren sich laut der Metaanalyse zwei Hauptströmungen heraus. Zum einen liegen Studien vor, die die Bioenergie vorrangig zur Stromerzeugung in flexiblen Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) betrachten. Die Bioenergie und insbesondere Biogas kann demzufolge ihre Stärken zum Ausgleich der fluktuierenden Stromproduktion aus Windkraft- und Solaranlagen voll zur Geltung bringen.

Die meisten der knapp 8 000 Biogasanlagen in Deutschland werden von Landwirten betrieben. Bislang stand hier die Einspeisung in das Stromnetz an erster Stelle. Doch mit den gesunkenen Vergütungen für Strom, besonders durch das EEG 2014, und der neuen Rolle von Biogas in einer überwiegend von Erneuerbaren getragenen Energieversorgung geht ein Paradigmenwechsel für die Betreiber einher. Biogas kann darüber hinaus entscheidend dazu beitragen, dass die Menschen im ländlichen Raum attraktive Lebensbedingungen vorfinden. Ein Beispiel aus dem Weserbergland zeigt, wie sich der Wert öffentlicher Einrichtungen wie Schwimmbäder steigern lässt. Aber auch in die Jahre gekommene Einfamilienhäuser können so modernisiert werden. Der demographische Wandel ist für viele ländliche Regionen eine Herausforderung: In den letzten Jahren haben immer mehr Menschen die Orte verlassen, an denen Arbeitsplätze fehlen oder die zu weit von Städten entfernt sind. Die Einfamilienhäuser werden von älter werdenden Menschen bewohnt, die sich eine notwendige Sanierung nicht leisten können oder wegen mangelnder Zukunftsaussichten nicht leisten wollen.

Doch ein unabwendbares Schicksal ist diese Entwicklung nicht. Das zeigen gelungene Beispiele, an denen auch Biogas einen positiven Anteil hat. So zum Beispiel der Flecken Coppenbrügge im niedersächsischen Weserbergland. Hier wird eine in die Jahre gekommene Einfamilienhaus-Siedlung an eine Wärmeleitung angeschlossen, die von einem mit Biogas betriebenen Satelliten-BHKW gespeist wird.

Das Projekt ist eine Erweiterung der Wärmeversorgung durch die „Ith-Gas“. Die nach dem Höhenzug, an dem Coppenbrügge liegt, benannte Betreibergesellschaft besteht aus vier ortsansässigen Landwirten und den Stadtwerken Weserbergland. Die Biogasanlage mit einer installierten Leistung von knapp 500 kW transportiert das Rohbiogas zu zwei BHKW am Schwimmbad in Coppenbrügge. Ein BHKW wird von den Stadtwerken Weserbergland betrieben, das zweite vom Flecken Coppenbrügge. „Wir standen vor der Frage: Was machen wir mit den Bädern?“, schildert Hans-Ulrich Peschke, Bürgermeister des Fleckens Coppenbrügge, die Ausgangslage. Denn das Freibad wurde in den 1950er Jahren, das Hallenbad in den 70er Jahren gebaut. Die Energiekosten waren viel zu hoch, da das Wasser nach dem Tauchsiederprinzip mit einer Stromheizung erwärmt wurde. Ein Problem war die Finanzierung, da es in Niedersachsen für die Modernisierung von Schwimmbädern keine öffentliche Förderung gibt.

Da traf es sich, dass die Planungen für die erste Biogasanlage in Coppenbrügge im Juli 2010 begannen. Nach dem Spatenstich Ende September 2011 folgte eine nur kurze Bauzeit und die Biogasanlage konnte in Betrieb gehen. Etwa zeitgleich erfolgte die Planung der energetischen Sanierung durch einen Architekten, der ein Experte für Niedrigenergiehäuser ist. Das Bad entspricht nun dem Passivhausstandard. Im Zuge der Sanierung wurde das Dach mit einer Photovoltaikanlage ausgestattet. „Nach 50 Jahren haben wir nun im Freibad eine Wassertemperatur von bis zu 25 Grad“, freut sich Bürgermeister Hans-Ulrich Peschke. Helmut Feldkötter, Geschäftsführer der Stadtwerke Weserbergland, nennt einen wichtigen Grund, dass das Projekt realisiert werden konnte: „Die Politik stand geschlossen dahinter.“ Und der Erfolg gibt den „Machern“ Recht, denn seit der Umstellung der Wärmeversorgung auf Biogas haben sich die Besucherzahlen vervierfacht. Und die Kommune konnte ihre Energiekosten für das Hallenbad um 60 Prozent senken. Zugleich tragen die umgestalteten Bäder auch dazu bei, mit dem Campingplatz die touristische Ausstattung des Ortes zu verbessern.

Da die beiden Schwimmbäder aber nicht die gesamte zur Verfügung stehende Wärme benötigen, kam mit dem Krankenhaus Lindenbrunn ein weiterer Großabnehmer von Wärme ins Spiel. Die Reha-Klinik mit 400 Betten wollte sich nicht nur seine Energiebilanz verbessern, sondern sich auch unabhängig machen vom umweltschädlichen Heizöl. Ganz konkret werden durch die Umstellung jährlich 540 Tonnen CO2 eingespart. Zwei Mio. Kilowattstunden Wärme liefert die Biogasanlage im Jahr nun an das Krankenhaus Lindenbrunn. Versorgt wird das Krankenhaus Lindenbrunn über eine Wärmeleitung vom BHKW der Stadtwerke Weserbergland, das ebenfalls am Schwimmbad steht. Die alte Ölheizung wurde noch als „Reserve“ für Notfälle beibehalten.

Die Wärme soll auch für die Wohnsiedlung ausreichen, ohne die Biogasanlage baulich erweitern zu müssen. Denn genehmigt ist die Anlage bereits für 700 kWel. „Acht Wohnhäuser der Kreissiedlungsgenossenschaft werden bereits mit Wärme versorgt“, sagt Stadtwerke-Chef Feldkötter: „So ging das im Wohngebiet los.“ Doch mit der Siedlung „Heerburg“ haben die Projektträger, neben dem Flecken und den Stadtwerken ist auch die Niedersächsische Landgesellschaft (NLG) dabei, Größeres vor. So soll mit einem sogenannten Quartierskonzept die energetische Situation der Wohnhäuser und die gesamte Infrastruktur des Wohngebietes verbessert werden. Wie sich in Befragungen der Haushalte herausgestellt hat, ist der regenerative Energieträger Biogas voll akzeptiert. Vorbehalte wegen vermeintlich negativer Aspekte habe niemand geäußert.

Das mag auch daran liegen, dass die vier in der Betreibergesellschaft zusammengeschlossenen Landwirte ihre Anlage vorbildlich führen. Zwar wird ausschließlich Mais angebaut, dessen Silage mit 10 000 t im Jahr die Substratgrundlage liefert. Aber diese Kultur ist in der Region eher als Bereicherung der vielfältigen Fruchtfolge zu sehen, betont Landwirt Cord Wiegand-Behmann: „Wir benötigen für die Anlage eine Anbaufläche von 120 bis 160 Hektar Mais. Das sind aber nur 20 Prozent unserer Ackerfläche.“ Die Aufgaben in der Betreibergesellschaft sind klar verteilt: Während sich die Landwirte Olaf Maßmann, Heiko Falke, Cord-Wiegand Behmann und Ernst-Wilhelm Dehmann um den Maisanbau und die Biogasproduktion kümmern, ist die gekoppelte Produktion von Strom und Wärme Aufgabe der Stadtwerke Weserbergland. Einen „Nebeneffekt“ haben die Landwirte bereits festgestellt: Durch die Zusammenarbeit in der Betreibergesellschaft ist der Zusammenhalt unter den Berufskollegen enger geworden. Und das Biogas trägt zur Sicherung der landwirtschaftlichen Existenzen und zu einer gesicherten Betriebsnachfolge bei.

Dass die Wärmeversorgung mit Biogas so positiv aufgenommen wird, hat dem Umwelt- und Klimaschutzgedanken auch damit zu tun, dass in der Kommunikation mit den (künftigen) Verbrauchern deutlich gemacht wird, welchen Beitrag Biogas zur regionalen Wertschöpfung leistet, sagt Stadtwerke-Geschäftsführer Feldkötter: „Das Geld bleibt in der Region.“ Denn die Aufträge werden so weit wie möglich am Ort und im Umkreis vergeben. Das schafft und sichert Arbeitsplätze. Und da sind demnächst wieder einige Aufträge zu vergeben, wenn die rund einen Kilometer lange Wärmeleitung durch das Wohngebiet verlegt wird. Rund eine Mio. Euro sind dafür eingeplant.

Doch das Biogas soll nicht nur für Wärme in der Nachbarschaft sorgen, sondern möglicherweise auch für Strom: Da sich der Betrieb von Satelliten-BHKW nach dem neuen EEG nicht mehr rechnet, könnte auch der gleichzeitig produzierte Strom mit verkauft werden. Auch das gehört zu einer modernen Infrastruktur, die in Zeiten demographischen Wandels für attraktive ländliche Räume sorgt.

THOMAS GAUL

Erschienen in SONNENENERGIE 6/2015

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